
Wochenbettdepression: Wenn das Babyglück ausbleibt
Seelische Erschöpfung, Ängste oder sogar Gefühllosigkeit gegenüber dem eigenen Baby – nach der Geburt erkranken rund 15 Prozent der Frauen an einer Wochenbettdepression, auch postpartale oder postnatale Depression genannt. Psychiater Prof. Ulrich Hegerl erklärt, was die Ursachen und Symptome sind und warum sie eine Frau nicht zur schlechten Mutter macht.

Interview mit Prof. Ulrich Hegerl
Der Psychiater Prof. Ulrich Hegerl ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und leitet das Deutsche Bündnis gegen Depression sowie die European Alliance Against Depression. Seit mehr als 30 Jahren setzt er sich für die bessere Erforschung und Aufklärung über Depression und die Suizidprävention ein.
Von 2019 bis 2024 hatte er die Johann Christian Senckenberg Distinguished Professorship an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt am Main inne. Diese hat zum 1. Januar 2025 die Goethe Research Professorship an Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl für den Zeitraum von drei Jahren verliehen.
Der Begriff Wochenbettdepression beschreibt eine depressive Krankheitsphase innerhalb eines Jahres nach der Geburt. Die Wochenbettdepression wird oft auch postpartale oder postnatale Depression genannt. Der Begriff postnatal ist allerdings nicht ganz korrekt, da der lateinische Begriff "natus" die geborene Person beschreibt. Die Depression erleidet allerdings die Mutter nach der Geburt.
Herr Prof. Hegerl, wann kommt es zu postpartalen Depressionen? Können auch Väter betroffen sein?
Prof. Ulrich Hegerl: Rein formal spricht man von einer postpartalen Depression, wenn eine depressive Krankheitsphase innerhalb eines Jahres nach der Geburt auftritt. Depressive Krankheitsphasen sind jedoch auch unabhängig von einer Geburt häufig: Mehr als neun Prozent der erwachsenen Frauen und vier Prozent der erwachsenen Männer sind ganz unabhängig von einer Geburt jedes Jahr von einer depressiven Erkrankung betroffen.
So treten Depressionen schon rein zufällig vor, während und nach der Schwangerschaft auf. Das Erkrankungsrisiko ist jedoch bei Frauen vor allem in den Wochen nach der Geburt erhöht. Natürlich können auch Männer in dieser Zeit an einer Depression erkranken, wenn auch nicht deutlich häufiger als zu anderen Zeiten.
Wie erkenne ich eine postpartale Depression?
Prof. Ulrich Hegerl: Typisch für eine depressive Erkrankung sind Symptome wie ein anhaltendes, tiefes Erschöpfungsgefühl, Schlafstörungen oder Appetitstörungen. Auch die Neigung zu Schuldgefühlen wie die, eine schlechte Mutter zu sein, sowie die Unfähigkeit, irgendeine Freude oder überhaupt auch nur Gefühle für das Baby empfinden zu können, sind Anzeichen für eine Depression. Es besteht innerer Stress, eine Daueranspannung, sodass sich die Erkrankten permanent wie vor einer Prüfung fühlen. Der Zustand ist so quälend und wird als so hoffnungslos erlebt, dass viele Betroffene finstere Gedanken entwickeln – bis dahin, sich etwas anzutun.
Man sollte meinen, die Natur hätte alles so eingerichtet, dass eine Mutter nach der Geburt im siebten Babyhimmel schwebt. Wieso kommt es trotzdem zu Depressionen oder gar Psychosen?
Prof. Ulrich Hegerl: Schwangerschaft und eine Geburt schützen eben nicht vor der psychischen Erkrankung Depression. Faktoren wie hormonelle Schwankungen in Verbindung mit der Geburt und Veränderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus können mit dazu beitragen, dass das Risiko zu erkranken nach der Geburt sogar erhöht ist. Hormonell bedingte Stimmungsschwankungen sind vielen Frauen in Verbindung mit der Menstruation bekannt, auch wenn diese von der Schwere her mit einer richtigen Depression nicht vergleichbar sind.
Warum hat mir das keiner gesagt?
Wer glaubt, dass alle Mütter nach der Geburt ihres Kindes auf Wolke sieben schweben, irrt. Baby Blues und Wochenbettdepression sind weiter verbreitet, als viele denken. Toyah Diebel und Michael Muley sprechen darüber mit Psychologin und Psychotherapeutin Natalie Samimi, die auf die Themen Schwangerschaft und Geburt spezialisiert ist.

Auswirkungen der Wochenbettdepression auf die Mutter-Kind-Beziehung
Inwiefern beeinflusst eine Depression die Mutter-Kind-Beziehung schon in diesem frühen Stadium?
Prof. Ulrich Hegerl: Depressiv erkrankte Mütter fühlen sich durch die Depression völlig erschöpft und überfordert, wie innerlich abgestorben und ohne warme Gefühle. Dies ist ein wirklich quälender Zustand. Und das besonders zu einem Zeitpunkt, zu dem sie eigentlich Freude und Zärtlichkeit gegenüber ihrem Baby empfinden sollten. Sie geben sich fälschlicherweise selbst die Schuld und nicht der Erkrankung Depression. Durch die Depression fühlen sie sich wie abgeschnitten von der Umwelt und sogar von ihren eigenen Gefühlen. Es gibt hierfür den Fachausdruck "Gefühl der Gefühllosigkeit".
Ist das Risiko für Frauen höher, später noch negative Gefühle ihrem Kind gegenüber zu entwickeln, wenn sie eine postpartale Depression durchmachen mussten?
Prof. Ulrich Hegerl: Depressiv Erkrankte haben vor allem negative Gefühle gegenüber sich selbst, weniger gegenüber ihrem Kind oder anderen Menschen. Es besteht aber eine Anfälligkeit, erneut in eine depressive Krankheitsphase mit all den negativen Veränderungen zu rutschen.
Der Grund ist: Wer eine Krankheitsphase erlitten hat, beispielsweise eine postpartale Depression, der hat eine genetische oder in der frühen Kindheit erworbene Veranlagung und damit auch ein erhöhtes Risiko, im Laufe des Lebens erneut depressiv zu erkranken. Die meisten Frauen mit einer postpartalen Depression haben oder hatten deshalb weitere depressive Krankheitsphasen in ihrem Leben.
Durch eine Behandlung mit Medikamenten, also Antidepressiva, und einer Psychotherapie kann das Rückfallrisiko jedoch deutlich gesenkt werden. In gesunden Lebensphasen sind Menschen mit Depressionen übrigens oft eher besonders liebenswerte und verantwortungsvolle Menschen und natürlich auch gute Mütter.
Wie geht die Gesellschaft mit der Wochenbettdepression um
Haben Frauen dann mit extra Bürden zu kämpfen? Etwa Unverständnis seitens des Partners oder Ähnliches?
Prof. Ulrich Hegerl: Ja, das kommt hinzu. Der Partner und andere Angehörige sehen eine Depression nicht als eine eigenständige, schwere Erkrankung an, die jeden treffen kann, sondern fassen sie fälschlicherweise eher als Reaktion auf schwierige Lebensumstände auf – oder eben bei der postpartalen Depression auf neue Anforderungen nach einer Geburt.
Damit wird die Depression in die Nähe persönlichen Versagens gerückt und Schuldzuweisungen sind nicht weit. Hier ist es sehr wichtig, dass sich die Angehörigen sorgfältig über die Erkrankung Depression informieren, um zu erkennen, dass für das veränderte Verhalten die Depression und nicht die Erkrankte verantwortlich ist.
Wie bewerten Sie die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Erkrankung?
Prof. Ulrich Hegerl: Es hat sich in den letzten Jahren einiges verbessert, die Vorurteile und Missverständnisse sind aber immer noch groß. Ein Grund dafür ist, dass jeder das Gefühl hat, ein Stück weit zu wissen, was eine Depression ist. Sie wird mit einer Befindlichkeitsstörung verwechselt, wie sie mit den Bitternissen des Lebens einhergeht, und nicht als eine eigenständige Erkrankung, die auf veränderten Hirnfunktionen fußt.
Dies hat auch eine Bevölkerungsbefragung ergeben, die die Stiftung Deutsche Depressionshilfe 2017 durchgeführt hat: Über 90 Prozent der Menschen glauben, dass äußere Faktoren wie Schicksalsschläge und berufliche Überforderungen die Ursache von Depressionen sind. Diese Überschätzung der Bedeutung äußerer Faktoren kommt auch daher, dass die Depression selbst ihre scheinbaren Gründe immer mitliefert.
Würde sie sich zum Beispiel bei mir einschleichen, dann würde diese in meinem Leben herumschauen und nach Negativem suchen. Dabei wird sie immer fündig, seien es Rückenschmerzen, Überforderungen, Verlusterlebnisse, Konflikte in der Partnerschaft, was auch immer. Die Depression nimmt dann das Negative, vergrößert es und rückt es in das Zentrum des Lebens. Dieser Mechanismus läuft bei jeder Depression ab. Behandelt man die Erkrankung, dann bestehen die Probleme oft weiter, werden aber wieder Teil des bewältigbaren Lebens.
Wege aus der Wochenbettdepression: Diagnose und Behandlung
Wie wird eine Wochenbettdepression diagnostiziert
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation WHO führt die Wochenbettdepression unter F53. Die postpartale oder postnatale Depression ist eine Krankheit, die behandelt werden muss.
Die Diagnose wird mit Hilfe eines klinischen Interviews oder Fragebogens gestellt, beispielsweise mittels der "Edinburgh-Postnatal-Depression-Scale" (EPDS), verfügbar auf der Seite des Schatten & Licht e.V. – eine Initiative für Frauen, die vor oder nach der Geburt mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben.
Therapiemöglichkeiten bei einer Wochenbettdepression
Laut Deutscher Depressionshilfe erleiden 10 bis 15 Prozent der Mütter eine postpartale Depression. Die Krankheit lässt sich gut behandeln. Daher ist es wichtig, frühzeitig ärztliche Unterstützung zu suchen. Andernfalls besteht das Risiko, dass die Depression chronisch wird. Außerdem kann eine unbehandelte Wochenbettdepression die Mutter-Kind-Beziehung belasten.
Hier finden Betroffene Hilfe
Auf den Seiten der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind entsprechende Informationen für Betroffene und Angehörige zu finden und in dem Diskussionsforum Depression kann man sich mit anderen Betroffenen austauschen und von deren Erfahrungen lernen. Auch der Verein Licht und Schatten e.V. bietet Unterstützung zur Selbsthilfe an.
Quellenangaben
- icd-code.de: Psychische oder Verhaltensstörungen im Wochenbett, anderenorts nicht klassifiziert
- schatten-und-licht.de: Selbsthilfeorganisation zu peripartalen psychischen Erkrankungen
- deutsche-depressionshilfe.de: In der Schwangerschaft und nach der Geburt
- frauengesundheitsportal.de: Psychische Erkrankungen - Wochenbettdepression (Postpartale Depression)
- forum.diskussionsforum-depression.de: Diskussionsforum Depression